Was ist Hochsensibilität?

„Hochsensibilität“ ist ein Begriff, der in den 1990er Jahren von der US-amerikanischen Psychologin Elaine Aron ( Wikipedia) geprägt wurde. Ihm zugrunde liegt die Annahme, dass Menschen Reize unterschiedlich stark wahrnehmen.

Damit das Gehirn bei der Vielzahl an Sinneseindrücken, die tagtäglich verarbeitet werden müssen, nicht überlastet, besitzt es sozusagen einen integrierten Filter, der vermeintlich Wichtiges von Unwichtigem trennt.

Bei Hochsensiblen – bzw. Hochsensiblen Personen – ist dieser Filter durchlässiger als bei dem Rest der Menschen. Dadurch nehmen sie besonders viele Sinnesreize auf – ob sie es wollen oder nicht. Dies hat einen großen Einfluss auf das tägliche Leben und Erleben.


Aron hat in diesem Zusammenhang noch einige weitere Indikatoren für Hochsensibilität herausgearbeitet. So reagieren HSPs oft stärker und emotionaler auf Reize. In der Folge kann es auch schneller zu unangenehmen Gefühlen der Übererregung und Überstimulation („Reizüberflutung“) kommen.

Außerdem verarbeiten sie die Eindrücke, die sie aufnehmen, besonders tiefgreifend und neigen dazu, länger darüber nachzudenken und sie gründlicher abzuspeichern.

Zuletzt berichten viele HSPs im Zusammenhang mit anderen Menschen eine Art Verhaltenshemmung. Lernen HSPs neue Menschen oder Situationen kennen, halten sie sich oft lieber zurück und beobachten, bevor sie selbst aktiv werden. Dies kann unter anderem die Ursache haben, dass sie dadurch versuchen, eine potenzielle Reizüberflutung zu vermeiden.

Ursachen von Hochsensibilität

Tatsächlich sind die genauen Ursachen der Hochsensibilität noch nicht abschließend geklärt. Man geht jedoch davon aus, dass es sich um eine erblich bedingte, angeborene Eigenschaft handelt. Laut Schätzungen noch dazu keine seltene – je nach Quelle sollen 15 bis 30 Prozent deutlich sensibler als der restliche Teil der Bevölkerung sein. Und dies betrifft nicht nur uns Menschen – auch im Tierreich wird beobachtet, dass es in einer Population stets einen bestimmten Anteil an Individuen gibt, die deutlich stärker auf Umgebungsreize reagieren. Evolutionsgenetisch hat sich die Hochsensibilität vermutlich etabliert, weil es einer Gemeinschaft einen Evolutionsvorteil bringt, wenn ihre Mitglieder verschiedenartige Temperamente aufweisen: Wenn es jene gibt, die eher extravertiert agieren und bisweilen aggressiv Ziele umsetzen können und jene, die feinfühlig auf die Umgebung reagieren und mögliche Gefahren früher wittern. Auf jeden Fall ist Hochsensibilität keine Krankheit oder psychische Störung. Vielmehr handelt es sich um eine normale Spielart menschlichen Verhaltens und Erlebens, die weder überwunden noch verdrängt werden sollte.

Leben mit Hochsensibilität

Hochsensibel zu fühlen, kann im eigenen Leben und im Leben anderer eine große Bereicherung sein. Die Herausforderung ist es, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, die oft eher die Interessen der weniger sensiblen Menschen zu fördern scheint. Insbesondere Kinder, die in ihrem Temperament wenig wahrgenommen oder gefördert worden sind, können als Erwachsene Schwierigkeiten damit haben, sich so anzunehmen, wie sie sind. Möglicherweise haben sie das Gefühl bekommen, nicht richtig zu sein oder nicht dazuzugehören und leiden noch Jahre später darunter.

Weil jede Hochsensibilität anders ist, kann jeder auch anders damit seinen Umgang finden. Es gibt keine Anleitung und keinen Leitfaden, der jedem hilft. Dennoch gibt es Dinge, die viele HSPs als hilfreich erleben:

  • Lernen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sich um deren Erfüllung zu kümmern
  • Lernen, was einem guttut und was nicht
  • Auf den eigenen Körper hören und Überlastungssignale ernst nehmen
  • Eigene Grenzen wahrnehmen, kommunizieren und einhalten
  • Bewältigungsstrategien für Reizüberflutung finden, zum Beispiel Achtsamkeit, Meditation, Lesen, spazieren gehen, kreativ sein, …
  • Austausch mit anderen Hochsensiblen, um sich verstanden und gesehen zu fühlen, über Gefühle und Probleme reden, auch kleine Selbstgespräche
  • Dem Gehirn ausreichend Zeit geben, um alle Eindrücke zu verarbeiten
  • Aufschreiben des Erlebten (Tagebuch, Traumtagebuch, Morning Pages, …)
  • Lernen mit Konflikten mit sich selbst und anderen umzugehen und darin Bewältigungsstrategien entwickeln
  • Wenn man als HSP einmal verstanden hat, dass man stärker auf bestimmte Reize reagiert, wird es mit der Zeit immer leichter, zu verstehen, was man braucht. All das passiert jedoch nicht von heute auf morgen. Es ist vielmehr ein Prozess, der sich über Monate und Jahre erstrecken kann – aber einer, der unfassbar lohnenswert ist.

Superkraft Hochsensibilität

Hochsensibilität ist alles andere als eine Schwäche. Wenn HSPs ihre positiven Eigenschaften erkennen und nutzen lernen, kann daraus viel Gutes entstehen – sowohl für sie selbst als auch für ihr Umfeld. Da HSPs generell emotionaler sind und bestimmte Erfahrungen mehr auskosten können, wird zum Beispiel ein simpler Spaziergang in der Natur zu einem intensiven Erlebnis für Körper, Geist und Seele. Dadurch, dass sie Reize so tief verarbeiten, können sich meist auch neues Wissen besonders gut abspeichern. Außerdem gelten sie als gute und empathische Zuhörer, die sich in ihr Gegenüber einfühlen können. Ihr facettenreiches inneres Erleben kommt ihnen insbesondere im kreativen Bereich zugute. Und es gibt noch viele andere positive Eigenschaften, die bei den meisten HSPs in mehr oder weniger starker Ausprägung vorhanden sind:

  • Sie können Sinnzusammenhänge erkennen, die von der Mehrheit der Menschen nicht gesehen wird, haben also ein ausgeprägtes Verständnis des Großen und Ganzen der Welt
  • Sie haben meist ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und sorgen dafür, dass in Streitigkeiten jeder Mensch gehört wird, dadurch sind sie ideale Mediatoren
  • Sie sind harmonieliebend und gehen daher besonders achtsam mit ihrer Umgebung und ihren Mitmenschen um
  • Da sie oft ein gutes Gefühl für die Bedürfnisse der Menschen in ihrem Umfeld haben, können sie auch begnadete Führungspersonen werden, da sie ein Team möglichst so leiten, dass es allen gut geht
  • Durch ihre empathischen Eigenschaften eignen sie sich gut als Coaches und Therapeuten, die Menschen in schwierigen Situationen helfen
  • Die hohe Empathiefähigkeit macht sie außerdem zu guten Pflegekräften von hilfsbedürftigen Menschen oder in Heilberufen, zudem haben sie oft ein intuitives Gespür dafür, welche Hilfe bei Beschwerden passend sein könnte
  • Sie können Konflikte auf achtsame Art lösen und helfen daher einer Gesellschaft oder Gruppe dabei, tieferliegende Probleme zu erkennen und zu lösen
  • Durch ihre intensive Gedanken- und Gefühlswelt haben sie oft viele Ressourcen, um sich selbst zu helfen
  • Sie sind in der Lage, Verbindungen herzustellen und Sinnzusammenhänge zu erkennen, die andere möglicherweise nicht sehen können